GALERIE UND SHOWROOM 21

Andreas Kocks. Der Schaum dieser Tage

9. September bis 27. Oktober 2023

 

Andreas Kocks‘  Debütausstellung in der Galerie FENNA WEHLAU zeigt aktuelle Wandreliefs aus Metall und Papier und eine raumgreifende Installation im gegenüberliegenden Showroom 21.

Begleitprogramm zur Ausstellung:

Artlovers Apéro in Anwesenheit von Andreas Kocks am Mittwoch, den 4., 11., 18. und 25. Oktober  2023 von 17 bis 19 Uhr

Solokonzert Björn Meyer, Bassgitarre, Mittwoch, den 18. Oktober 2023 ab 19 Uhr, bitte reservieren Sie vorab Ihr Ticket

Golden leaves, autumn wines, Weinprobe mit den Vineasten, Donnerstag, den 26. Oktober ab 19 Uhr, Voranmeldung

 

Werkliste mit Preisen, Ausstellung Galerie

Werkliste mit Preisen, Ausstellung Showroom

 

 

Wie man mit Linien den Raum erobert 

Zieht man mit einem Stift eine Linie auf einem Stück Papier, erzeugt man auf der leeren Fläche eine spürbare Spannung. Es ist, als würden plötzlich Koordinaten eingezogen. Die Linie lässt ein Oben und ein Unten, eine rechte und eine linke Seite auf dem Rechteck entstehen. Der Strich, egal ob er gerade verläuft, eine Kurve beschreibt oder einen Kreis formt, teilt das Blatt auf in zwei Bereiche, die sich zwar ideal aneinander schmiegen, aber auch endgültig voneinander getrennt sind. Ja man könnte den gezogenen Strich fast als Schnitt durch die Fläche empfinden. 

Drückt man mit dem Stift die Linie tiefer ins Papier hinein, erzeugt sie dort ein flaches Relief, das auch auf der Rückseite des Blattes zu erkennen ist. Durchtrennt man mit dem Zeichengerät das Blatt aber ganz, beginnen die auseinandergeschnittenen Teile sich gegeneinander abzuheben. Es entsteht eine zweite Schicht. Der angeschnittene Papierbogen wächst in die dritte Dimension hinein. Aus der Zeichnung wird ein plastisches Gebilde, das neue Reize entfaltet, aber damit auch neue Ansprüche stellt an den, der sich dieser Reize bedienen und mit ihnen etwas Bildhaftes gestalten will. 

Andreas Kocks hat in seinem Werk die künstlerischen Möglichkeiten des Zeichnens auf Papier, des Einschneidens von Linien und des Aufbrechens von Flächen, in exemplarischer Vielfalt vorgeführt. Schon die Einladungskarte zu dieser Ausstellung gibt ja eine Vorstellung von den Absichten des Künstlers. In den festen Karton der Karten sind Kreislinien eingeprägt, die mit den Händen zu ertasten sind. Sie deuten an, wie Linien auf Papier in die dritte Dimension vorstoßen können. 

Für diesen Vorstoß braucht man aber nicht unbedingt Prägestempel oder harte Zeichengeräte, ja man kann auf farbhaltige Stoffe wie Tusche oder Kreide sogar verzichten. Andreas Kocks hat eine Serie von Zeichnungen ganz in Weiß hergestellt. Die Linien, die sich auf ihnen abzeichnen, sind mit einem Skalpell in den weichen Büttenpapiergrund hineingeschnitten und dann leicht auf eine Seite hin hochgebogen worden. Durch die Schrägstellung der schmalen Streifen werden Schatten erzeugt, die exakt den Verlauf der Schnitte wiedergeben, also auf der weißen Fläche wie mit Stift gezogene Linien wirken. 

Mit diesen Schattenlinien kann man ähnlich präzise arbeiten wie mit Feder- oder Kreidestrichen. Ja die subtilsten Ergebnisse erhält man dann, wenn man die Schnitte exakt so ausführt, wie ein Zeichner seine Striche setzen würde. Kocks hat die darstellerischen Möglichkeiten dieser schnittgraphischen Technik subtil ausgereizt. Mit längeren Schnitten deutet er die Umrisse der abzubildenden Gegenstände an, mit kurzen, eng nebeneinanderliegenden Parallelschnitten aber lässt er Licht- und Schattenpartien entstehen, 

gibt also den angedeuteten Dingen ihr Binnenleben. Die so entstehenden Illusionen sind verblüffend lebendig. 

Dass der Künstler mit dieser Technik keine abstrakten Liniengerüste aufs Papier projiziert, sondern – anders als in seinem übrigen Werk – gegenständlich bleibt, ja sich sogar von der Natur und ihren Formen anregen lässt, ist in sich schlüssig. Mit Pflanzenformen kann er die gestalterischen Möglichkeiten von Schattenlinien am schönsten vorführen. Der feine Windhauch, den die hochgebogenen Papierstreifen auf dem leeren weißen Blatt zu erzeugen scheinen, ist in den angedeuteten Konturen weich wogender Pflanzenstängel und zerzauster Blütenblätter lebendig zu spüren. 

Mit dem Titel „Bending the Line“ – die Linie biegen – deutet Kocks den handwerklichen Vorgang an, der am Beginn fast all seiner Arbeiten steht. Die Zeichenhand, egal mit welchem Gerät sie bewaffnet ist, zieht gekurvte Linien, die sich auf der Fläche mehrfach kreuzen können, am Ende aber meist zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren. In den Arbeiten, die das „Linienbiegen“ im Titel tragen, hat Kocks Linien in mehreren Kurvenschwüngen über die Blätter laufen lassen und dann einige der von den Strichen umrandeten oder umrundeten Flächen aus den Papierbögen herausgeschnitten. Anschließend wurden zwei oder drei dieser durchbrochenen Bögen so übereinander befestigt, dass die gezeichneten Linien und die ins Papier geschnittenen Löcher sich auf mehreren Ebenen überlappen. Zwischen den Schichten tut sich also ein Tiefenraum auf, der umso deutlicher wird, je schräger das Licht einfällt. Bei extremem Seitenlicht rücken die Schatten so weit zur Seite, dass der Abstand zwischen den Schichten überdeutlich spürbar wird. 

In der Serie „Real Ghosts“ hat Kocks eine Variante dieses Stapelprinzips erprobt. Die einzelnen Papierschichten sind hier unterschiedlich getönt. Weiße, graue und schwarze Blätter wurden so übereinander befestigt, dass man durch die Öffnungen der oberen Schichten die Farben, das Lineament und die Kurvierungen der darunterliegenden sieht. Zum Reiz der sich auf verschiedenen Ebenen überschneidenden Linien gesellt sich hier also der Reiz der feinen tonlichen Abstufungen. 

Zeichen- und Aquarellpapier wird in der Regel in Bögen bestimmter Größe verkauft. Wer mit seinen Arbeiten über diese festgelegte Größe hinausgehen will, muss mehrere Bögen zusammenfügen. In den großformatigen Objekten mit dem Titel „Flaneur“ hat Kocks fünf oder sechs Aquarellpapierblätter, in die Rundformen eingeschnitten sind, so neben- und übereinander postiert, dass große Kompositionen entstanden sind, deren Kurvenschwung über die Ränder der Einzelblätter weit hinausschießt, ja eigentlich erst dort sein Ende findet, wo die Wand, auf der sie befestigt sind, aufhört. Die Ränder der Ausstellungswand bilden hier also quasi den Rahmen der aufgehängten Objekte. 

Bei diesen Arbeiten geht es weniger um den tiefenräumlichen Effekt, der beim Übereinanderschichten der Blätter erzielt wird. Hier sorgt das auf das Papier aufgetragene Graphit mit seinem sensibel auf Licht reagierenden feinen Schimmer für die fast plastische Wirkung der aus dem Papier herausgeschnittenen flachen Formen, für eine Öffnung in den 

Raum hinein, eine Öffnung, die in Millimetern zwar kaum messbar ist, mit den Sinnen aber wahrzunehmen ist. 

Diese mit Papier und Graphit erzielten Licht-Schatten-Wirkungen und Raumeffekte lassen sich mit metallischen Stoffen leicht übersteigern. Vor allem Messing mit seinem natürlichen Glanz bietet sich als Material für größere Formate an. Wird Messingblech matt gebürstet, ist der von ihm ausgehende Schimmer gedämpft, er wirkt nur sehr gemessen in den Raum hinein, wie die großformatigen Arbeiten der Serie „Solid Ether“ eindrucksvoll zeigen. 

Wird Messing aber vernickelt und auf Hochglanz poliert, bekommt die golden glänzende Oberfläche fast die Strahlkraft eines Spiegels. Alles, was sich im Raum davor bewegt, zeichnet sich ab und wird zurückgeworfen. Zwischen dem Objekt und dem Betrachter entsteht so eine fast intime Beziehung. 

Die aus hochglanzpolierten Messingplatten herausgeschnittenen Kurvengebilde mit dem Titel „Drei Grazien“ spiegeln alles wieder, was sich vor ihnen ereignet. Da die in sie eingesägten Löcher aber fast mehr Raum einnehmen als die sie umrundenden Kurven, zeichnen sich auf den Metallflächen immer nur farbige Bruchstücke der im Raum davor befindlichen Gegenstände ab. Ja bei jeder Bewegung, die der Betrachter macht, bewegen sich die gespiegelten Formen mit, sie rutschen hin und her, verschwinden in den Löchern der Kompositionen, tauchen anderswo wieder auf, springen über die Lücken hinweg. Die Eindrücke, die von diesen Bildwerken ausgehen, verwirbeln also im Raum, ja die flachen Messingplatten, die an die Wand befestigt sind, scheinen selber in Bewegung geraten zu sein. 

Die Ausstellung hier in der Galerie führt also in imponierender Vielfalt vor, wie mit genuin zeichnerischen Techniken, mit puren Umrisslinien und Einschnitten Gebilde geschaffen werden können, die ein plastische Wirkung im Raum entfalten. Im zweiten Teil der Schau, im Showroom im Hof auf der gegenüberliegenden Seite der Amalienstraße, ist die Tiefenwirkung, die mit gezeichneten Formen erreicht werden kann, fast körperlich zu spüren. Dort hat Andreas Kocks mit unendlich vielen graphitschwarzen Papierelementen eine den ganzen Raum beherrschende Installation aufgebaut. Sie läuft an zweien der vier Wände entlang. Man könnte auch sagen: sie schäumt mit ihren Rundformen über zwei Wände und über die dazwischenliegende Ecke hinweg. Wer sie in ihrer ganzen Breite erfassen will, muss also beim Betreten des Raums den Kopf drehen oder einen Schritt zurücktreten. Dieses Werk zwingt also den Betrachter, auf Abstand zu gehen, und lässt ihn so etwas von der Raumwirkung spüren, die von Bildwerken im Allgemeinen ausgehen kann, die drüben, im engen Kabinett, im Winkel zwischen zwei senkrecht aufeinander zulaufenden Wänden, aber besonders intensiv zu spüren ist. 

Man kann dort erleben, wie Linien und Flächen einen ganzen Raum in Beschlag nehmen. 

Showroom 21 

Galerie

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