After the Burn

Konza Prairie Drawings - Erin Wiersma

25. Februar bis 22. April 2022

 

 

Diese Ausstellung ist ein Projekt des Neustart Kultur, Stiftung Kunstfonds.

 Es erscheint ein gleichnamiger Katalog.

Eröffnungsrede von Prof. Dr. Martin Oswald

Das große Thema der 1982 in Sommerville im US-Bundesstaat New Jersey geborenen Künstlerin ist die Landschaft. Dabei geht es der Künstlerin freilich um viel mehr als die abbildhafte Reproduktion eines Stücks Erdoberfläche, sondern um einen reflexiv-performativen Akt, bei dem mit Hilfe von Naturkräften und mittels Naturberührung eine Textur von Strukturen entsteht, die sich ohne die direkte, handelnde Begegnung in und mit der Natur so nie ergeben hätte. Und dies alles geschieht in einem für die Künstlerin und ihr entstehendes Werk hochgefährlichen Balanceakt am Rande des Feuers. Das ist nicht nur metaphorisch gemeint, sondern ganz real die Situation, aus der heraus Erin Wiersma ihre Bilder schafft.

Die Konzaprärie in Kansas ist eine unendlich weite Graslandschaft von eindrücklicher Schönheit und Naturvielfalt. Hier lebten einst die indigenen Stämme der Kansa der Kaw, später teilten die Siedler das Gebiet auf und errichteten riesige Ranchen, bis die Naturschutzbehörden bemerkten, dass es allerhöchste Zeit war, den Rest der vormaligen Prärie unter ihren Schutz zu stellen und das einmalige Ökosystem als Forschungsgebiet auszuweisen. Zu dessen Erhalt und zur Verbesserung der Bodenqualität werden regelmäßig gezielte Abbrände gelegt. Diese Brände und ihre Spuren sind der Ausgangspunkt der künstlerischen Praxis Erin Wiersmas, die ein tiefes Interesse an der Geschichte der Prärie, ihrer früheren Bewohner sowie der Flora und Fauna mit dieser Landschaft verbindet. Die kontrollierten Feuer entsprechend der kontrollierten künstlerischen Arbeit mit dem Zufall. Dafür zieht, hebt und schlägt Erin Wiersma große Papierbögen über die abgebrannte und abgesengte schwarz verkohlte Erde und sammelt so Abdrücke – nicht Eindrücke – von der Natur, die sich uns als abstrakte Porträts einer Landschaft voller spannender Zwischentöne präsentieren. Es sind braunschwarze Erdtöne, Grau, Grün, Umbra und viele Valeurs im Zwischenreich der Töne, für die es keine Namen gibt. Manchmal auch nutzt die Künstlerin eine selbst konstruierte Walze, die sie über die frisch abgebrannte Erde schiebt, sodass sich wie bei einer Frottage die Gräser, Steine und Erdspuren ins Papier sich prägen, Kratzer, Punkte, Liniengeflechte und Muster entstehen lassen: Von der Natur gezeichnete Natur.

Die Erkenntnis, dass sich Landschaft aus einem Fleck, aus einer Spur entwickeln lasse, ist nebenbei keine der modernen Kunst. Sie wird schon im 18. Jahrhundert in der künstlerischen Lehre des englischen Zeichners Alexander Cozenss als eigenes „Blot“-Verfahren propagiert. Die Vielfalt zufälliger Formen aus Tintenklecksen oder zerknülltem Papier möge als Anlass zur freien Weiterentwicklung genutzt werden und berge schier unerschöpfliches künstlerisches Material. Cozens folgte damit einem Impuls Leonardo da Vincis, der in seinem Buch von der Malerei vorschlägt, sich bei der Erfindung von Landschaften von der Struktur von Gemäuern anregen zu lassen. Landschaft ist aus dieser Sicht der Gegenentwurf zur normativen Figuration und gestattet Freiheiten, die anderswo versagt sind. Dies liegt teilweise im Motiv selbst, das aufgrund seines Strukturreichtums mehr eigene Erfindung und künstlerische Übersetzungsarbeit erfordert als alles andere. Da ist der Weg von der Imitation zur Imagination nicht weit. Und womöglich liegt gerade darin das Potenzial für eine bis in die Gegenwart produktive Kunstauffassung, die sich übrigens erstmals in der Romantik mittels des Landschaftsmotiv in diesem Sinne artikulierte. Kurz zuvor hatten Maler in der von Novalis so titulierten „geognostischen Landschaft“ den Versuch unternommen, Kunst und Wissenschaft, Anschauung und Erkenntnis nicht nur einander zu nähern, sondern in neuer Verbindung zu einer ganz eigenen Haltung zu erhöhen.

Wenn sich Erin Wiersma der Landschaft aussetzt und sich des abgestorbenen Materials als Quell für ihre Kunst bedient, so vollzieht sie einen geradezu rituellen Akt, der das tod- und lebenbringende Feuer im Bild zu einem Zeugnis dieses Kreislaufs macht und uns daran Anteil nehmen lässt. Der bewegte Rhythmus dieser Brandspurenbilder lädt ein zur Meditation über das ganz Elementare unseres Daseins. Zugleich sind wir versucht, die Grapheme wie eine musikalische Notation zu lesen, ein offenes Lied, das für jeden, der sich darauf einlässt, anders hörbar wird, anderes erklingen und anklingen lässt.

Zwischen uns und der Natur steht die Künstlerin als Mittlerin. Für Menschen, die selbst die direkte Beziehung zur Natur längst aufgegeben, verloren haben, vergessend ein Teil dieser Natur selbst zu sein. Die Landschaft beginnt in uns, nicht draußen, nicht dort, sondern hier. Erin Wiersma macht uns bewusst: Landschaften sind etwas, was wir in uns tragen, sie sind Teil unserer Geschichte und unserer selbst. Als Resultat zweier Kräfte, der Natur und der Kultur, wird Landschaft zum Sediment der Zeit. Erin Wiersmas künstlerischer Zugang hebt einen längst überholten Antagonismus auf, nämlich den der Spaltung von Außenwelt und Innenwelt, eine Haltung, mit der sich der Mensch bislang – zu lang – ermächtigte, sich die Natur zu unterwerfen, sie umzuformen. Längst wissen wir, dass sich kulturelles und natürliches Leben in einer sich ständig veränderten Symbiose ohne Hierarchien entwickeln muss. Und dennoch macht uns selbst der künstlerische Prozess, dem die Zeichnungen Erin Wiersmas entspringen, bewusst, dass wir uns den Widersprüchen nicht entziehen können. Sind es doch die als notwendig erachteten menschlichen Eingriffe, die das alte Ökosystem der Prärie am Leben halten und uns als Brandspuren erst jene Bilder schenken, die als hochästhetische Zeugnisse die Erinnerung an all das konservieren, was wir für die Zukunft gerne erhalten würden.

Zurück zum Anfang: Schon mancher hat den Untergang des Abendlandes proklamiert und dabei naturwüchsige, kosmisch-dunkle Kräfte aufgerufen. Erin Wiersma aber wirft sich dazwischen, wagt sich hinein ins Feuer und fängt objektive Spuren ein, die einer astrologischen Verklärung nicht bedürfen, sondern den Reiz dessen zeigen, was es zu erhalten gilt.

ERIN WIERSMA

Geboren 1982 in Somerville, New Jersey US
Lebt und arbeitet in Manhattan, Kansas
2009University of Connecticut, M.F.A.
2004Messiah College, B.A.
2003Istitutio San Lodovico, Orvieto, Italien

Einzelausstellungen

2022After the Burn, Galerie Fenna Wehlau, München
2021Land Institute Prairie Festival, Salina Art Center, Salina, KS
2020art KARLSRUHE, Galerie Fenna Wehlau
2019Catch the Shadow: International Contemporary Drawing, Bo-ai Gallery, National Dr. Sun Yat-sen Memorial Hall, Taipei, Taiwan
 Wester: Works on Paper from the Konza Prairie, Culture Lab, Mid-America Art Alliance, Kansas City, MO
 Tracing Watersheds: Konza Prairie, Featuring Grassland Interview (voices) by Katie Kingery-Page, Salina Art Center, Salina, KS
2018Main Gallery at UCM Gallery of Art & Design, University of Central Missouri, Warrensburg, MO
2017Robischon Gallery, Denver, CO
 Gestural Mapping, Hand-Rudy Gallery, Dairy Arts Center, Boulder, CO
 Bottega Chioccia Tsarkova, Orvieto Itay
2015Jacqueline B. Charno Gallery, Kansas City Artist Coalition, Kansas City, MO
 Mapping Chaos, Clayton Staples Gallery, Wichita State University, Wichita, KS
 Liminal Territories, Tony Hungerford Memorial Gallery, Colllege of Southern Maryland – LaPlata, MD
2014The Theory of Line, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
 Traced Time, Johnson Gallery, Jackson State University, Jackson, MS
2013Rebecca Randall Bryan Art Gallery, Coastal Carolina University, Conway, SC
2012Momentary Traces, Gallery at Three Rivers Community College, Norwich, CT
 Intervals of Time, University Gallery, Pittsburgh State University – Pittsburg, KS
2010One Week in November, Sarah A. Coyne Gallery, Syracuse University, Syracuse, NY
2007Redemption Form, Hampden Gallery, University of Massachusetts – Amherst, MA

Gruppenausstellungen (Auswahl)

2022art KARLSRUHE 2022, Galerie Fenna Wehlau
2021Earthly Observatory, School of the Art Institute of Chicago Galleries, Chicago, IL
2020All Terrain, Spartanburg Museum of Art, Spartanburg, SC
 art KARLSRUHE 2020, Galerie Fenna Wehlau
 Prairie. River | Lisa Grossman and Erin Wiersma, The Volland Store, Alma, KS
2019Catch the Shadow: International Contemporary Drawing, Bo-ai Gallery, National Dr. Sun Yat-sen Memorial Hall, Taipei, Taiwan
 Material Differences, Birke Art Gallery of Marshall University, Huntington, WV
 Paper Positions, Galerie Fenna Wehlau
 Line | Poetry, Galerie Fenne Wehlau, München
 Rocket Summer – Temperature Curatorial Project Series, Neon Heater, Findlay, OH
2018Here and Now, Marianna Kistler Beach Museum of Art, Manhattan, KS
 Marking Presence, McMahon Gallery, Dairy Arts Center, Boulder, CO
2017Natural Instincts, The Jewish Art Salon hosted by the Charter Oak Cultural Center in Hartford, CT
 100 Works on Paper Benefit, Kentler International Drawing Space, Brooklyn, NY
 Gathering Differences, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
 Infrastructure: Land, Mind, Country, AICAD Seminar Gallery, New York Artist Residency Program, Brooklyn, NY
2016With/drawn: Nancy Morrow & Erin Wiersma, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
 New Art in Old House, Governors Island, NY
 Wish You Were Here, Interstate Projects, Brooklyn, NY
 In the Secret Garden, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
2015Line & Space, Martin Museum of Art, Baylor University, Waco, TX
 Summer National Juried Exhibition, Marin Museum of Contemporary Art, Novato, CA
 THE (Un)Fair, Manhattan, NY
 Transformed Viewpoints, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
2014Draw, Drawing, Drawn, Vita Art Center, Ventura, CA
 Liminal Communities, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
2013New Drawings: Sara Schneckloth & Erin Wiersma, SOHO20 Gallery, NY, NY 2013
 A Fine Line: Contemporary Drawing, Claypool-Young Art Gallery, MSU - Morehead, KY
 Fragments, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
 Push on the Surface, Gallery at Raritan Valley Community College, Branchburg, NJ
2012The Human Presence, Triangle Gallery, Sinclair Community College, Dayton, OH
 Celebrating Kindred Spirits and Strange Bedfellows, A.I.R. Gallery, Brooklyn, NY
2011Ephemera, Olive DeLuce Fine Art Gallery, NWMSU - Maryville, MO
 Intimacy, ARC Gallery, Chicago, IL
 Drawing Discourse Exhibition, S. Tucker Cooke Gallery, UNC – Ashville, NC
2010MOAK 4-State Regional Exhibition 2010, Springfield Art Museum, Springfield, MO
 Drawing in the Expanded Field, Clara Hatton Gallery, CSU - Fort Collins, CO
2009Wayne and Geraldine Kuhn Gallery, OSU – Marion, OH
 Apperceptions, SOHO20 Gallery, NY, NY
 Apperceptions, William Benton Museum of Art, Storrs CT
 Coast to Coast, Dakshina Chitra Gallery, Chennai India
2008Coast to Coast, Ruchika’s Art Gallery, Panjim, Goa India

Publikationen: Blogs | gedruckte Ausstellungen

2019Colin Edgington, Stories from the fire on Tracing Watershed | Konza Prairie, featuring Grassland Interview (voices), Salina Arts Center, Salina, KS
 Colin Edgington, Dragging Through Fire: On Erin Wiersma’s Konza Prairie, Minding Nature Journal at The Center for Humans & Nature’ online and printed Chicago, IL. Fall Issue
2018Jennifer J Rhodes, “After the Burn – Making Art Out of Grassland Fires,” LTER Stories.
2017Sharon Butler, “Two Coats resident artist Erin Wiersma returns from Kansas,” Two Coats of Paint.
 Sarah Handcock, “Drawing in Place,” Seek Magazine. Vol. 7: Issue 2
 Butler, Sharon, “Infrastructure at Seminar in DUMBO,” Two Coats of Paint.
2016INDA 10, Manifest Gallery and Drawing Center.
2015Sharon Butler, “Quick study: Art bus, Rauschenberg as bad parent, sexism in arts writing, Abelow, Two Coats Residency, Stanley Whitney, Stella retrospective, more.” Two Coats of Paint.
 Jacquelyn Gleisner, “Still Points in Erin Wiersma’s Drawings.” Art21 Online Magazine – Sincerity Issue.
 Sharon Butler, “Two Coats of Paint Artist Residency Program kicks off this week.” Two Coats of Paint.
 Creative Quarterly Magazine, CQ37, 3x3 Publishing, New York, NY.
2014Studio Visit Magazine, Volume 28. Open Studio Press, Boston, MA.
 Danielle Fallon, "Lines and Layers: Erin Wiersma’s ‘The Theory of Line’”, On-Verge, CUE Foundation.
 Sharon Butler, "Erin Wiersma: What's Left of Our Lives," Two Coats of Paint.
 Marsha Levin-Rojer, “Erin Wiersma: Dynamic Exploration,” (Catalog Essay)
2013Studio Visit Magazine, Volume 23. Open Studio Press, Boston, MA
2011Studio Visit Magazine, Volume 13. Open Studio Press, Boston, MA

Preise & Residencies (Auswahl)

2022The Land Institute, 2021Prairie Festival Artist – postponed to 2022
2021The Drawing Center, Viewing Program 20/21 Artist
2020University Small Research Grant, Kansas State University, Manhattan, KS
2019National Endowment for the Arts, Kansas Creative Arts Industries Commission Grant, Co-PI Katie Kingery-Page
 Engagement Incentive Grant, Center for Engagement and Community Development, Kansas State University, Co-PI Katie Kingery-Page
2018University Small Research Grant, Kansas State University, Manhattan, KS
2017Two Coats of Paint Residency, Brooklyn, NY
2016University Small Research Grant, Kansas State University, Manhattan, KS
2015Two Coats of Paint Residency, Brooklyn, NY
 Draw International Residency, Caylus, France
2014[Awarded Best in Show] Draw, Drawing, Drawn, Vita Art Center, Ventura, CA
 University Small Research Grant, Kansas State University, Manhattan, KS
2013President’s Academic Excellence Award, Kansas State University, Manhattan, KS
 Big 12 Faculty Fellowship 2013 – 2014
2011Faculty Development Award, Kansas State University, Manhattan, KS
2010Small Research Grant, Kansas State University, Manhattan, KS

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