Eberhard Ross

fünfhundertdreiunddreißig stufen führen auf den südturm des kölner doms. von der aussichtsplattform in fast einhundert metern höhe hat man einen wunder baren blick auf die kölner innenstadt, den rhein, die stählernen bögen der hohenzollernbrücke – und kann bei klarer sicht in der ferne das siebengebirge erkennen.

der rückweg nach unten über die enge wendel treppe ist weniger spektakulär. eine gute gelegenheit, um ein interessantes sprach-experiment zu unter nehmen: wer bei jeder einzelnen, abwärts führenden  treppenstufe laut das wort »stufe« ausspricht – oder sich im stillen denkt – der kann schon nach wenigen schritten feststellen, wie die bedeutung des wortes mehr und mehr überdeckt wird vom ständig wiederhol ten klangbild der beiden silben. stufe, stufe, stufe – immer wieder das rauschende »sch« zu beginn, das plosive »t«, gefolgt vom dunklen, langen »u«, und am ende das etwas kraftlos auslautende »fe«. stufe, stufe, stufe. am ende der treppe wird man kaum noch wissen, was das wort bedeutet, das man da ständig sagt. sprechwissenschaftler nennen diesen effekt »semantische sättigung« : während wir einer lautfolge wie »stufe« in bruchteilen einer sekunde die korrekte bedeutung aus unserem inneren lexikon zu ordnen können, wird dieser assoziationsvorgang durch die ständige phonetische wiederholung spürbar gestört. der wahrgenommene klang isoliert sich von der mit ihm verbundenen, intuitiv abrufbaren bedeutung. wir nehmen das wort so wahr, als handele es sich um einen begriff aus einer uns unbekannten fremd sprache oder schlicht um lautmalerei, also eine sinnlose reihenfolge von konsonanten und vokalen.

wer sich mit den gemälden des künstlers eberhard ross beschäftigt – und vielleicht zum ersten mal vor eine der suggestiv wirkenden farbflächen tritt –, der spürt vielleicht fragen in sich aufkommen nach der bedeutung des kunstwerks jenseits seiner äußerlich wahrnehmbaren wirkung, seines ästhetischen reizes. warum hat der künstler diese farben gewählt? was drücken die akribisch in die oberste ölschicht geritz ten linien aus? wie tragen sie zum inneren rhythmus des gemäldes bei? mit jedem weiteren moment des stillen betrachtens treten solche fragen dann aber zunehmend in den hintergrund. das bild beginnt zu wirken. es geht in die tiefe. es tritt in einen dialog  mit uns, scheint uns seinerseits fragen zu stellen. der betrachter – die betrachterin – wird umfangen von einer kommunikativen atmosphäre, die mit worten nicht mehr ausdeutbar ist. assoziationsfolgen beginnen, die bildfläche entmaterialisiert sich, und wir selbst schauen längst nicht mehr nur auf das kunstwerk – sondern in uns selbst hinein.­

 

das wort farbklang bezeichnet üblicherweise  eine wechselwirkung zweier oder mehreren farben, genauer gesagt ihres farbtons, ihrer helligkeit, der oberflächen beschaffenheit. aber natürlich können auch einzelne farben und monochrome flächen klingen – so wie auch in der musik ein klang (ja sogar eine melodie) aus einem einzigen ton bestehen kann. ein klang – sei er harmonisch oder dissonant, komplex oder reduziert – kann beruhigen oder anspornen, er kann energie aufnehmen und wieder abgeben, er kann sich reiben oder anschmiegen, nach konflikt oder vollendung suchen. all dies sind parallelen zwischen der welt des hörens und der des sehens, und für beide welten gilt: der empfundene klang entsteht immer erst im sinnensystem des sehenden und hörenden individuums. was wir subjektiv wahr nehmen, spiegelt sich stets in unserem erfahrungs schatz – und es wird noch ungleich reizvoller, wenn wir bereit sind, loszulassen und uns ungewohntem  zu stellen. die bereitschaft, zu hören, das erlebnis, zu sehen, werden zu abenteuerreisen in unser inneres. die kunst formuliert nicht zwingend das ziel dieser reise, aber sie ist ein notwendiger wegbegleiter,  und ein überaus willkommener dazu.

es ist wenig verwunderlich, dass musik im schaffens prozess des malers eberhard ross eine zentrale rolle spielt. nicht irgendeine musik, sondern ausgewählte werke zwischen barock und moderne, die allesamt von künstlerisch herausragender qualität und ausdruckskraft sind, und die zugleich von einer erkennbaren formalen strenge und großer freiheit geprägt sind, vor allem in der improvisation. während eberhard ross beim malprozess farbschicht um farbschicht aufträgt, immer wieder die bildwirkung studiert und – oft in ununterbrochener tag-und-nachtarbeit – lineaturen in die noch frische ölfarbe ritzt, entsteht in seinem atelier eine atmosphäre kontem plativer kreativität, bei der  der klang der musik eine elementare zutat, ja ebenso notwendige bedingung malerischen schaffens ist  wie das licht. zugleich erleichtert es die musik dem künstler, eine über stunden anhaltende, hohe span nung und konzentration zu halten und gleichzeitig eine fast spielerische freiheit zu entwickeln, ohne  die jede künstlerische arbeit mechanisch, lang weilig, ja ausdruckslos würde. so findet der inspirierende reichtum der kompositionen johann sebastian bachs, in denen ordnung und freiheit so wunderbar koexis tieren, ebenso eingang in das künstlerische schaffen von eberhard ross wie etwa (um einen sprung von zwei hundertfünfzig jahren zu machen) das atem beraubende wechselspiel von form und phantasie  in den kreativen, klangströmenden improvisationen eines keith jarrett. hier wie dort schafft erst formale strenge die grund lage für harmonische entwicklung, variation und wieder holung. in der form wohnt ihre auflösung, in der freiheit die inhaltliche tiefe.

die enge verwandtschaft seines malerischen schaffens zur musik machte eberhard ross schon vor jahren durch werktitel wie »fermata« oder »speicher« deutlich (in der musikalischen terminologie könnte man frei übersetzt »repertoire« sagen). in der tat kann man auch in den bildern von eberhard ross fermaten sehen, haltepunkte also, die das erlebte, erfahrene nachklingen lassen und in der reflektion die spannung auf das kommende erhöhen. und schon grafisch gibt es eine enge verwandtschaft zwischen den strichbün deln in der werkserie »speicher« und der notenschrift. so, wie sich das scheinbare chaos eines großen vogelschwarms als hochorganisiertes naturphänomen erweist (das eberhard ross vielfach künstlerisch inspiriert hat), folgt eine mehrstimmige choralfuge exakten konstruktionsprinzipien und dem ziel einer harmonischen vollendung des ganzen. »think of  your ears as eyes«, formuliert eberhard ross selbst – gertrude stein zitierend – sein arbeits- und ausdrucks prinzip. und kehrt es sogleich um: think of your eyes as ears. klang wird farbe, farbe wird klang.

das leben in und mit der pandemie hat seine paradoxien: für den künstler eberhard ross zählt dazu, dass er seit dem frühjahr 2020 seinem lebens bedürfnis des malens nach eigener aussage »näher gekommen ist als je zuvor«. das reduzierte öffentliche leben mag vielleicht auch für einen kreativen künstler die möglichkeiten der ablenkung reduzieren, der arbeit im atelier also eine zentralere rolle im täglichen leben zukommen lassen, das schaffen intensivieren. aber das allein ist es nicht: so, wie wir alle in der krise auf uns selbst reduziert worden sind, wie wir den wert von sozialen kontakten ausgerechnet durch deren mangel neu zu schätzen gelernt haben, wie sich auch der gemeinschaftsbegriff neu stärkte durch eine unterschiedslos alle menschen bedrohende gefahr, so erfüllte sich für eberhard ross eine große und lang gehegte sehnsucht: den himmel zu sehen in seinen ursprünglichen, durch keinen kondensstreifen, kaum durch industrielle emissionen getrübten farben. das licht zu spüren, und seine erfüllende kraft mit noch größerer intensität und ruhe studieren und repro duzieren zu können.

»on the nature of daylight« heißt seine aktuelle werk serie aus dieser phase, und sie macht augen fällig, dass der künstler hier nicht nur das wesen und die eigenschaften des tageslichts neu ergründet hat, sondern dass er dieses licht auch noch stärker als geschenk zu verstehen und wiederzugeben gelernt hat. denn in den bildern »on the nature of daylight«  ist das licht viel mehr als ein naturphänomen, dessen charakter man allein in wellenlängen oder sonnen ständen bemessen könnte. licht wirkt hier als kraft, als bindeglied zwischen himmel und erde. es ist darstellbar und transzendent zugleich. so macht es das kunstwerk im wortsinne elementar.

es ist dieses licht, das in jeder minute des tages, an jedem ort unseres lebens wechseln mag, verlässlich in seiner vergänglichkeit. es umfängt uns und es klingt in uns. und es findet sein bleibendes abbild in der tiefen spiritualität der gemälde von eberhard ross.

Lothar Lenz

 

 

Eberhard Ross

 1959

born in Krefeld | Germany

 

studied at Folkwang-University Of Arts Essen with László Lakner/ Friedrich Gräsel

 Einzelausstellungen seit 2006 (Auswahl):

2023Organische Geometrie, Galerie Fenna Wehlau, Munich
2022"listening to colours/ watching sounds", Galerie Frank Schlag, Essen
2022"listening to colours/ watching sounds", Galerie Stefanie Boos, Heidelberg
2022"listening to colours/ watching sounds", Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt 
2022Eberhard Ross: The Aura of Change, Deji Art Museum, Nanjing, China
2022Eberhard Ross/ Dieter Kränzlein, Artforum Ute Barth, Zürich, 
2022Eberhard Ross/ Dieter Kränzlein, Kunsthaus Fischer, Stuttgart
2022Eberhard Ross/Stephan Wurmer, Kunstverein Offenbach
2021EBERHARD ROSS, Galleri Kai, Frederiksberg, DK

2021

"listening to colours/watching sounds", Projektraum Streitfeld, München

2021

"listening to colours/watching sounds", Galerie Fenna Wehlau, München

2021

"listening to colours/watching sounds", Galerie Schuermann, Kamp Linfort

2020

"refugium", Galerie Kunst2, Heidelberg

2020

"refugium" mit Margit Hartnagel, Dreieinigkeitskirche, München

2020

"refugium", Amelie Maison d’Art, Paris

2020

"refugium", Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt am Main

2020

refugium, Lisa Norris Gallery, London UK

2020

Verein für aktuelle Kunst, Oberhausen

2019

"refugium", Duo show with Bruno Walpoth, Galerie Straihammer & Seidenschwann, Wien

2019

"refugium", Nikola Rukaj Gallery, Toronto

2019

"refugium", Galerie Fenna Wehlau, München

2019

"refugium", am design Gallery, Antwerpen

2019

"refugium", Art Forum Ute Barth, Zürich

2018

"silentium", Galerie Kunst2, Heidelberg

2018

"silentium", Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt 

2018

"silentium", Four Square Fine Arts, London 

2018

"fermata", Gallery Ginza G2, Tokio

2017

"fermata&lauds", Artpark Gallery, Karlsruhe

2017

"silent spaces", Galerie Fenna Wehlau, München

2016

“the fermata series“, Galerie Frank Schlag, Essen

2016

“the fermata series“, Galerie Kunst2, Heidelberg

2016

“fermata“, Single Piece exhibition at San Miniato Monastery, Florenz

2016

“the fermata series“, Galleria Il Ponte, Florenz

2015

“contemplation“ mit Neringa Vasiliauskaite, Galerie stoerpunkt, München

2015

“Luminescence – think of your eyes as ears“, artpark gallery, Karlsruhe

2015

“Luminescence – think of your eyes as ears“, Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt am Main

2015

“Luminescence – think of your eyes as ears“, Galerie Frank Schlag | Essen, Essen

2015

“Luminescence – think of your eyes as ears“, Galerie Frank Schlag, Essen

2014

“Luminescence – think of your eyes as ears“, Hölzl Kunstprojekte, Düsseldorf 

2014

“Luminescence – think of your eyes as ears“, JJ Joong Jung Gallery | Seoul/ Gangnam

2014

“Luminescence – think of your eyes as ears“, YoungEun Museum | Gwangjiu

2014

“Luminescence – think of your eyes as ears“, Galerie Kunst2, Heidelberg

2013

“silent spaces“, Four Square Fine Arts, London

2013

“silent spaces“, Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt am Main

2013

“silent spaces“, Galerie Frank Schlag & Cie, Essen

2013

“silent spaces“, Kunstverein Unna, Unna

2012

“zwischenräume“, Kunstverein Eislingen

2012

“zwischenräume“, Galerie Kunst2, Heidelberg

2011

Galerie Heimeshoff, Essen

2011Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt am Main
2010

“organic geometries“, Nikola Rukaj Gallery, Toronto

2010

“organische geometrie 2 “, Museum Kalkar, Kalkar

2010

“space between“, Four Square Fine Arts, c/o Redchurch Gallery London, London

2009

“source“, Galerie Obris, Essen

2008

“Biosphäre 1“, Cora Hölzl Galerie, Düsseldorf

2007

Max-Planck-Institute of Molecular Physiology, Dortmund

2007

“organische geometrie“, Städtische Galerie Brunsbüttel, Brunsbüttel

2007

“organic geometries“, The Study Gallery, Poole, Bournemouth

2006

“organische geometrie“, Galerie Obrist, Essen

2006

“organische geometrie“, Städtische Galerie Schloss Strünkede, Herne

2006

“organische geometrie“, Kunstmuseum Alte Post, Mülheim an der Ruhr

 Gruppenausstellungen seit 2004 (Auswahl):

2023

Balance, Timbre, Composition, Taicang Art Museum, China 

2022Organische Geometrie, Kunstverein Offenbach, Offenbach
 art Karlsruhe, Galerie Fenna Wehlau, München
2021

"Goldberg Variationen", Galerie Frank Schlag, Essen

2021

"Mustermix", Schloss Weitra

2021

"Malerei/Objekt/Skulptur" mit Dirk Salz, Stefan Wurmer, Kunstraum Villa Friede, Bonn

2021

"Kunst in Kirchen", Wetterau, Duedelsheim

2020

"Mustermix", Schloss Weitra

2020

"Mustermix", NoeART, St. Pölten

2020

"Mustermix", Haus der Kunst, Baden

2020Verein für aktuelle Kunst, Ruhrgebiet e.V., Oberhausen
2020

BildKLang - KlangBILD, Galerie Dr. Gudrun Selz, Freiburg

2018

BildKLang - KlangBILD, Galerie Fenna Wehlau, München

2017

BildKLang - KlangBILD, Kunstverein Unna, Unna

2014

“Heimat ?“, Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt

2014

„Form does not differ from emptiness“, Meijiang Art Center, Tianjin

2014

“European And Chinese Abstracts“ / Shi Fang Fine Arts, Düsseldorf

2013

“European Abstract“ , 203 Art Space, Shanghai

2013

“EcmThinkOfYourEarsAsEyes “ARA Art Center, Seoul

2013

“poetics of space“, Four Square Fine Arts, c/o Redchurch Gallery London, London

2012

“Stillleben“ Galerie Hübner & Hübner, Frankfurt

2012

“top twenty – best of ruhrgebiet“, Galerie Frank Schlag & Cie GmbH, Essen

2011

“Farbe-Raum-Konzept“, Galerie Schütte / Essen-Kettwig

2011

“beflügelt“, Stiftung pro arte Sparkasse Biberach, Biberach

2011

“Schnittstelle: Muster“, Gesellschaft für Kunst und Gestaltung, Bonn

2010

“schwarz/weiss 2“, Kunstverein Germersheim, Germersheim

2010

“Laszlo Lakner & friends“, Galerie Obrist, Essen

2010

“eingeschrieben (in)“, Cora Hölzl Galerie, Düsseldorf

2009

“das Landschafts - a priori“ | Cora Hölzl Galerie, Düsseldorf

2008

“gegenstandslos“, Gesellschaft für Kunst und Gestaltung, Bonn

2008

“spotlights“, Sammlung Kunstmuseum Alte Post, Mülheim an der Ruhr

2008

“spotlights“, Sammlung Kunstmuseum Alte Post, Mülheim an der Ruhr

2008

“spotlights“, Sammlung Kunstmuseum Alte Post, Mülheim an der Ruhr

2008

“spotlights“, Sammlung Kunstmuseum Alte Post, Mülheim an der Ruhr

2008

“spotlights“, Sammlung Kunstmuseum Alte Post, Mülheim an der Ruhr

2007

“spielorte“, ein würfelwurf | Cora Hölzl Galerie, Düsseldorf

2004

“Die Linie als Kunst- und Lebensspur“, Kunstpreis der Stiftung Kreissparkasse Esslingen, Esslingen

 awards:

2013

Ruhr Award of Arts and Sciences

2007

Hermann Lickfeld Award

public collections:

 Museum of Art Alte Post | Mülheim an der Ruhr | GER

 Art Collection NRW | Cornelimünster Aachen | GER

 YoungEun Museum of Contemporary Art | KOR

 City of Essen | GER

 Royal Bank of Canada | CDN

 pro arte Foundation | Sparkasse Biberach | GER

 

listening to colours watching sounds, 2021

refugium, 2019

fermata - san miniato, 2016

luminescence, 2014

silent spaces, 2013

organic geometry, 2007

 

nocturnes

organische geometrie

fermata

on the nature of daylight

speicher

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nature

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